Langeweile, Aufregung und erfüllte Zeit
Bernd Krolop • Kapitel 4.4 aus: Magie, Mystik und Moderne, ISBN 3-00-010444-5 (Last Update: 02.06.2017)
Warum kauft sich eine Person das zwanzigste Paar Schuhe oder die tausendste CD? Übernimmt sie lediglich die Rolle der Anderen87 oder haben die gekauften Waren einen realen Gebrauchswert? Wie immer die Antwort auf diese Frage ausfallen mag, noch rätselhafter und vielfältiger scheinen die Motive von solchen Reaktionen wie dem Besuch eines Spielcasinos oder eines Fußballspiels zu sein.
Erving Goffman hat eine Theorie vorgelegt, um solche
Reaktionsweisen zu verstehen. Tätigkeiten, deren Ausgang „ungewiss und
folgenreich“ ist, nennt er „schicksalhaft“ bzw. „ereignisreich“.88 Als „Action” bezeichnet er diese
Tätigkeiten, die „um ihrer selbst willen unterommen werden“.89 Genauer: In ihnen will der Action-Sucher testen, ob er „ angesichts plötzlichen
Drucks korrekt und standhaft“ bleiben kann.90 Action wird so zu
einem Mittel, „einige der moralischen Gratifikationen für heroisches Verhalten
zu erlangen, ohne dass man das volle Risiko eines Verlustes einginge, das die
Gelegenheit zum Heroismus gewöhnlich einschließt“.91 Über
Identifikationen können Zuschauer an solchen modernen Unternehmen der
„Schicksalhaftigkeit“ teilnehmen; sie können „kostenlose Spannung“ genießen,
etwa in James Bond Filmen.92 Für Goffman wurde dieses Suchen nach
action in der amerikanischen Gesellschaft „zu einer Zeit lebendig“ als „im
Zivilleben das Auftreten von Schicksalhaftigkeit“ stark zurückgegangen war.93 Anders ausgedrückt: In dem Maße, in dem wirkliche Situationen existentieller
Anomie abnahmen, wurden sie auf neue Weise, real und medial gesucht.
Ein Besuch im Spielcasino, das Buchen einer Trekking-Reise
werden so verständlich, nämlich als dosiertes Abenteuer, gesellschaftlich
erzeugt, und als action, individuell konsumierbar. Als „Aufregung in
unaufgeregten Gesellschaften“, charakterisierten Norbert Elias und Eric Dunning
diese Beziehung.94 „Spielerische Aufregung“ („play excitement“)
wird hier von vielen Personen freiwillig („voluntarily“) gesucht; eine
Aufregung, die angenehm („pleasurable“) und sozial akzeptiert („social consent
of others“) sein soll95. Diese Aufregung ist – wie Simmels
„Abenteuer“ oder Goffmans „action“ – „das Gegenteil von Selbst-Kontrolle,
rationalem oder vernünftigem Verhalten“ („the antithesis to self-control, to
rational or reasonable conduct“).96 Begrenzter Kontrollverlust
scheint ihr Zweck zu sein. Erfrischung der Seele („refreshment of soul“)
nennen Elias und Dunning als Ziel solcher Erlebnisse.97
Deutlich wird hier, wie irrationale Aufregungen durch die
rationalen Betriebe des modernen Zauberbandes gegen Bezahlung vorbereitet
werden: „Um sie zu erfahren, müssen wir meist dafür bezahlen“.98 Aber geht es hier nur um die außeralltägliche Erfrischung der Seele von den
Mühen und Sorgen des Alltags? Oder ist hier nicht ein entscheidendes,
wenngleich verborgenes Motiv im Spiel? Aufregung und action sind Erlebnis- und
Handlungsweisen, die in einem bestimmten Verhältnis zur Zeit stehen. Goffman
unterscheidet action von Tätigkeiten, die bloß dazu dienen, „die Zeit
totzuschlagen“.99 Dies ist zwar auch bei action der Fall, aber
nicht, um „Zeit zu vertrödeln“ wie etwa oft beim „Fernsehen“, sondern gezielt
und „folgenreich“.100 Die action erweist sich damit als Versuch, das
eigene Zeitempfinden durch Folgenreichtum und Spannung zu beschleunigen und
kurz-weilig zu machen. Die entgegengesetzte Stimmung, die so gebannt werden
soll, das Zeitempfinden, das auf diese Weise verscheucht werden soll:
Lange-weile.
Angustin, auf den sich Elias und Dunning beziehen101,
fragte bereits danach, warum ein Mensch im Theater Mitleiden und Leidenschaft
erleben möchte, obwohl er im Alltag solche Empfindungen zu meiden versucht. Der
Zuschauer, so meint Augustin, will eben „schmerzlich gerührt“ sein, denn so
„bleibt die Aufmerksamkeit rege“ und so „freut er sich“; demgegenüber geht „er
gelangweilt und scheltend davon“, wenn er nicht „vom Schmerz bewegt wird“.102 Aufgrund dieser Überlegung wäre die beste Übersetzung für den Aufsatztitel von
Elias und Dunning wohl „Die Suche nach Aufregung in gelangweilten
Gesellschaften“.
Offenbar geht es beim Erzeugen und Erleben von Aufregung
und action in den genannten Formen um das Ersetzen von Langweiligem durch
Kurzweiliges. Was aber ist Langeweile überhaupt? Als eine Stimmung
charakterisiert Martin Heidegger sie, als „das Hinhaltende und doch
Leerlassende“.103 Er unterscheidet zwei (später drei) Formen der
Langeweile: “ein bestimmtes
Langweiliges” und “ ein unbestimmtes Langweilendes”.104 Beim ersten
Fall lässt sich etwas Bestimmtes angeben, dass jemanden langweilt, z.B. das
Warten auf einem Bahnhof, das hinhält. Im zweiten Fall hingegen gibt es nichts
Bestimmtes, was langweilt, sondern die Langeweile nimmt die Form „des „ich weiß
nicht was““ an.105 Hier hilft auch kein konkreter Zeitvertreib mehr,
sondern das Dasein als ganzes ist von „Gleichgültigkeit umfangen“ – von
„Leere“.106 Aufregung und action, reale wie mediale, vertreiben die
Leere und das Hingehaltensein der Langeweile: die Zeit scheint erfüllt –
kurzweilig eben. Dass die bunten Bilder der Werbung und des Films ebenso wie
die Worte und Musik des Radios die Langeweile verscheuchen, analysierte bereits 1924 Siegfried Kracauer.107 Seine Diagnose: Zerstreuung statt Langeweile.108
Heute erscheint etwa der laufende Spielbetrieb im
Profifußball vielen Anhängern und Begeisterten als Zeit lustvoller Ungewissheit
und Spannung, des Erhofften wie des Befürchteten – in den Stadien wie in den Medien. Die Langeweile scheint
fern. Sobald jedoch der Spielbetrieb stoppt, in der Winter- und Sommerpause,
kehrt die Verbannte zurück. Leere und Hingehaltensein machen sich wieder breit.
Warum? Die Erinnerung an die genossene Aufregung, ob gesehen, gehört oder mit
der ganzen Person erfahren, ist noch da, und zwar im Gedächtnis.109 Gemessen an diesen erinnerten Bildern der action wirkt die gegenwärtige
Realität uninteressant und langweilig. Was bleibt, ist die Hoffnung auf die
nächste Saison: mit neuen Aufregungen und neuer action.
Die Betrachtung zeigt: die kunstvoll erzeugte Aufregung, ob
nun real oder medial, hat eine diffus vorhandene Langeweile zwar vorübergehend
verscheucht, aber nur, um sie wieder neu anzuregen. Wie die Magie oft Gefühle wie
Furcht und Hoffnung erst erzeugt und sie dann durch Beschwörungen und Rituale
bannt110, so ruft die moderne Aufregung die Langeweile hervor, die
sie anschließend verscheucht. Action und Aufregung erweisen sich als der
Unterschied, der den Unterschied der wahrgenommenen Langeweile zwar verarbeitet111,
aber zugleich „weckt“.112 Stellt das folgende Photo (Abbildung 11)
nicht diese seltsame Form der Informationsverarbeitung und -weckung dar?
Langeweile und Aufregung im Café
Ein solches Handeln, bei dem jemand sich durch Aufregendes
zerstreut, um der Langeweile zu entfliehen, hat Folgen für das jeweilige
Selbst-Verständnis. Die Jagd nach Kurzweiligem führt – so Kracauer – zur
Preisgabe von „Geduld“, die zur legitimen Langeweile gehört, und in ihrem
Gefolge zum Verlust von „Beglückungen, die nahezu unirdisch sind“.113 So verheißungsvoll dieses Plädoyer für das Ausharren in der Langeweile klingt,
umso enttäuschender ist Kracauers Schweigen, wie ein geduldiges Warten, das
stets Vermisste:“ die große Passion“114 zum überraschenden Ergebnis
haben kann. Aber, das legt diese Überlegung nahe, wartet nicht ein größeres und
tieferes Glück auf denjenigen, der die eintretende Langeweile nicht sofort
zerstreuen will?
Auch Heidegger sieht in der „tiefen Langeweile“115,
in der es jemandem langweilig ist, eine Möglichkeit, ein anderes Verhältnis zu
sich und zur Zeit zu gewinnen. Hier, an diesem Punkt versagt, sich das Seiende
und das Dasein als Ganzes. Jetzt kann sich das Dasein von dieser es „ bannenden
Zeit“ befreien; und zwar, indem es „sich entscheidet“ – für sein Dasein.116 Das Dasein gewinnt so seine Entscheidungsfreiheit zurück angesichts des
drohenden Zerfließens in Langeweile.
Diese Analyse des Selbst-Verhältnisses ergänzte117 Heidegger durch eine ungewöhnliche Analyse des modernen Verhältnisses zu den
Dingen. Entscheidende Einsichten hat ihm dabei die Erfahrung einer anderen
Stimmung – der Einsamkeit – erschlossen. Erfahrungen, die er an der Peripherie
der modernen Zivilisation gemacht hat – in seiner Hütte am Rande des
Schwarzwaldes.118 „Wenn in tiefer Winternacht ein wilder Schneesturm
mit seinen Stößen um die Hütte rast und alles verhängt und verhüllt, dann ist
die hohe Zeit der Philosophie“, erklärt er. „Dann“, so fährt er fort, muss ihr
Fragen einfach und wesentlich werden“.119 Die hier erfahrene Einsamkeit
lässt ihn erkennen: „Die Einsamkeit hat die ureigene Macht, dass sie uns nicht
vereinzelt, sondern das ganze Dasein loswirft in die weite Nähe des Wesens
aller Dinge.“120 „In den großen Städten“ demgegenüber „kann der
Mensch zwar mit Leichtigkeit so allein sein, wie kaum irgendwo sonst“, „aber er
kann dort nie einsam sein“.121
Aus der Perspektive selbst-erfahrener Anomie und Einsamkeit
in einem Schneesturm, aber auch aus der geschauten landschaftlichen Schönheit
des Schwarzwaldes122 (sowie der harten Arbeitsbedingungen seiner
Bewohner, der Bauern123), beurteilt Heidegger die Touristen und die
städtische Welt, aus der sie kommen. „Eine sehr laute und sehr betriebsame und
sehr geschmäcklerische Aufdringlichkeit“, sieht er in ihrem Benehmen gegenüber den
Bauern am Werke.124 Sie verhalten sich „heute oft im Dorf oder auf
dem Bauernhof so, als „amüsierten“ sie sich in ihren großstädtischen
Vergnügungspalästen“.125 Verschluckt die gesuchte Zerstreuung, der
erlebte Zeitvertreib, dort die Langeweile?, könnte man im Anschluss an unsere
Unterscheidung Langeweile / Aufregung fragen. Eine Langeweile, die jedoch so
tief werden kann, dass sie die Möglichkeit für ein anderes Verhältnis zu sich
und zu den Dingen eröffnet.
Was aber ist die rätselhafte „weite Nähe des Wesens aller
Dinge“, in die die Einsamkeit das Individuum wirft? „Geviert“126 nennt Heidegger es 1951. Seine Beispiele: eine Brücke127, ein Krug128.
Den Krug sieht er als ein Gefäß an, dessen Leere auf etwas „Fassendes“129 verweist. Das, was er enthält oder fasst, kann z.B. Wasser sein. Das Wasser
kommt aus einer Quelle, die eingebettet ist in die Erde, wenngleich sie den
Regen vom Himmel empfängt. Ein Zusammenhang, den Heidegger in die Formulierung
kleidet: „Im Wasser der Quelle weilt die Hochzeit von Himmel und Erde“.130 Als Geschenk an die Menschen, die „Sterblichen“, betrachtet er den Trank des
Wassers; zugleich jedoch als eins an „die Göttlichen, die das Geschenk des
Schenkens als das Geschenk der Spende zurückempfangen“.131 Im
Geschenk des Gusses und im Wesen des Kruges als eines Dings ereignet und
versammelt sich so „das Geviert“132, die Einheit von Erde und
Himmel, Sterblichen und Göttlichen. Klar ist bei dieser Konstruktion
Heideggers: Hier handelt es sich nicht um das normale Vorstellen eines Gegenstandes,
sondern hier wirft ein Beobachter einen außeralltäglichen – inkongruenten133 – Blick auf alltägliche Dinge. Unklar bleibt jedoch, welche Bedeutung dem
Begriff „die Göttlichen“ zukommt. Versuchen wir, diese geistige Hieroglyphe134 zu entziffern; wobei zudem die Frage zu bedenken ist, in welchem Verhältnis die
praktizierte Wahrnehmung von Dingen als Ereignissen des Gevierts zur Stimmung
der Langeweile steht.
Als Ausgangspunkt wähle ich zwei Beispiele, die Brücke und
den Krug, an denen Heidegger seine Idee veranschaulicht. Die Brücke ist für ihn
eine Versammlung des Gevierts, auf der die Menschen „im Grunde danach trachten,
ihr Gewöhnliches und Unheiles zu übersteigen, um sich vor das Heile des
Göttlichen zu bringen“: sie tun dies etwa, indem sie mit einem
„Erntewagen“ eine Brücke überqueren, um zu ihrem Dorf zu gelangen.135 So sammelt die Brücke „als der überschwingende Übergang vor die Göttlichen“.136 Das „Anwesen“ der Göttlichen kann nun auf unterschiedliche, sich
widersprechende Weise interpretiert werden. Aus katholischer Perspektive,
„sichtbarlich bedankt“ in Form eines „Brückenheiligen“; in entgegengesetzter
Perspektive kann das Anwesen der Göttlichen aber auch, „verstellt oder gar
weggeschoben bleiben.“137
Was ist aber nun das Göttliche, wofür Gläubige etwa dem
Brückenheiligen danken? Der Weg des
Erntewagens über den Fluss kann misslingen, die heile Ankunft auf der anderen
Seite ist keineswegs gewiss.138 Wer dies bedenkt, könnte man den
Gedanken fortführen, empfindet Freude über die gelungene Ankunft auf der
anderen Seite, Freude und Dankbarkeit gegenüber dem Brückenheiligen oder dem
Göttlichen, die beide dies Ereignis symbolisieren. Was aber ist das Göttliche
bei einem Schluck Wasser aus einem Krug? Hier nimmt es eine andere Form an.
Nicht die der glücklichen Ankunft, sondern die eines vorgefundenen Geschenkes:
„ Im Geschenk des Gusses weilen Erde und Himmel.“139 Das Geschenk
kann in dem so Beschenkten weilen und den Wunsch auslösen, es mit einem eigenen
Geschenk zu erwidern. Die Gegengabe der Menschen an die Göttlichen: Dankbarkeit
als „Spende und Opfer“.140
Dies ist Heideggers Version der Logik der Gabe, wie sie
besonders in Stammesgesellschaften praktiziert wurde und auch heute noch wird.141 Diesen Geist der Gabe findet man aber ebenfalls noch in Regionen Europas
mit einer starken und lebendigen religiösen Tradition. In einer hochgradig
entzauberten Moderne stoßen Heideggers Argumentation und seine Beispiele jedoch
auf Verständnisprobleme! Warum werden hier das Wasser in einem Krug oder die Überquerung
einer Brücke nicht mehr als göttliche Gaben empfunden? Beides ist hier zu
selbstverständlich und normal, der Charakter des Außergewöhnlichen ist durch
technische Herstellbarkeit und Berechenbarkeit verschwunden. Um den Sinn für
gelungenes Unwahrscheinliches und seinen Gabencharakter in der Moderne zu
erkennen, müsste man andere Beispiele wählen – etwa einen Flug. Eine Reise mit
dem Flugzeug mag zwar, statistisch gesehen, ziemlich sicher sein, aber die
Unwägbarkeit jeden Fluges begünstigen den Blick für das
Nicht-Selbstverständliche einer Landung – und ihre möglichen Interpretation als
Gabe.
Diese „Kraft der Dinge“142 führt zu einer
seltsamen und seltenen Metamorphose zwischen den modernen Sterblichen und den
Göttlichen. Die Göttlichen symbolisieren in dieser Perspektive das menschliche
Erleben des Gelingens – sei es das ihrer Bewegungen, sei es das Empfangen von
Gaben. Was aber geschieht, müsste man fragen, wenn Menschen auf solche
erfahrenen „unwahrscheinliche Wirklichkeiten“143 mit Dankbarkeit gegenüber
den schenkenden Göttlichen reagieren? Dann handeln sie wie die Göttlichen und
verwandeln sich – vorübergehend – in sie.
Jetzt scheint mir der hieroglyphenhafte Begriff „die
Göttlichen“ fast klar genug, um nach der Beziehung des Gevierts zur Langeweile
und zu den Medien zu fragen. „Das Geviert“ hat Heidegger allerdings
vorrangig als Gegenbegriff zum berechnenden Denken der Neuzeit konstruiert, das
sich die Natur gemäß seiner selbst gesetzten Zwecke vorstellt, sie mit der
modernen Technik zunehmend stellt und beherrscht. „Gestell“ nennt Heidegger
diese Denk- und Seinsweise, die zu einer „Verwahrlosung des Dinges“144 führt. Der Ausbeutung der Natur setzt er das „Schonen“145 entgegen,
das einer Existenzweise gemäß des Gevierts entspricht.
Neben der technikkritischen nimmt Heidegger jedoch zudem
eine medienkritische Position ein. An die Stelle des stillen und einfachen
Zuspruchs des Feldwegs, in dem das Geviert sich einem dafür Empfänglichen146 zuspricht, tritt „der Lärm der Apparate“147. „Schwerhörig“ für
diesen Zuspruch mache er „die Heutigen“, „zerstreut und weglos“148.
Schlimmer noch: „dem Zerstreuten erscheint das Einfache einförmig.“149 Hier taucht sie wieder auf – die Langeweile in Gestalt der Einförmigkeit! Und
sie wird größer: „Das Einförmige macht überdrüssig.“150 Das Ergebnis
einer solchen Selbst-Verstärkung der Langeweile: „ Die Verdrießlichen finden
nur noch das Einerlei.“151 Ein Einerlei, das, wie wir gesehen haben,
jedoch im endlosen Rhythmus von Langeweile und Aufregung pulsiert, wie er besonders
von den Massenmedien in Gang gehalten wird. Die Kehrseite dieses immer
schneller ablaufenden Prozesses: „Das Einfache ist entflohen. Seine stille
Kraft ist versiegt.“152 D.h. es ist zu langweilig für diejenigen,
die schon nach der nächsten, noch actionreicheren, noch aufregenderen Situation
suchen.
Trotz aller kritischen Distanz bleiben für Heidegger „die
Einrichtungen, Apparate und Maschinen der technischen Welt heute
unentbehrlich.“153 Gleichwohl sieht er die Möglichkeit, „bei aller
sachgerechten Benutzung“, dass wir „sie jederzeit loslassen.“154 Dieses gleichzeitige Ja und Nein zur technischen Welt nennt er mit einem
„alten“ – mystischen155 – Wort: „die Gelassenheit zu den Dingen“.156 Also je nach Situation: Lärm durch medial angeregte action und Aufregung
oder Ruhe und Stille für das Schauen von
Dingen als Ereignissen des Gevierts.
Aber was geschieht eigentlich mit den normalen
Vorstellungen und Empfindungen einer Person bei diesem „andenkenden Denken“157,
wie Heidegger die mystikförmige Schau nennt? Er stellt die Frage nicht und
erschwert damit das Verständnis seiner wichtigen Idee. Ebensowenig fragt er
danach, ob das andenkende Denken die Langeweile beenden oder verscheuchen kann.158 Versuchen wir – im Unterschied zu ihm – die beiden Fragen zu beantworten, und
zwar an seinem Beispiel des Kruges.
Die Beobachtung zeigt: ein Betrachter, der einen Krug als ein Ereignis des Gevierts ansieht, erschließt Bedeutungen und
Zusammenhänge, die vorher verborgen bzw. latent waren. Er tut das, weil er das
unscheinbare Ding nicht bloß im Hinblick auf seine physische Substanz und seine
alltägliche Funktion wahrnimmt, sondern als eine komplexe und vierfach
gestaltete Versammlung von Welt. Die Schauende, der Schauende kann diese
außeralltägliche Perspektive aufbauen, da sie, da er die Wechselwirkung159 zwischen sich, dem Krug und der
Welt bedenkt. Diese prozesshafte Wahrnehmung
lässt Latentes manifest werden oder entbirgt Verborgenes. Zum einem die
kosmische Beziehung, das Wasser im Krug sei das Ergebnis des Zusammenspiels von
Himmel und Erde. Zum anderen die ebenso kommunikative wie metaphysische
Beziehung, das Wasser sei eine göttliche Gabe für die Menschen.
So tauchen zwei Unterscheidungen auf, die
zusammengefasst das Geviert bilden – wie
zwei Diagonalen, die sich x-förmig kreuzen. Durch das Errichten einer
Senkrechten in deren Schnittpunkt und die Verlängerung der Diagonalen ließe
sich ein beliebig großes, vierdimensionales Koordinatensystem (für das dazu
passende Verständnis einer Dimension: Anmerkung 84) bzw. ein entsprechender
Raum konstruieren. In das könnte ein Beobachter das jeweils vorgestellte Ding
als Ereignis eintragen. „Aber das denkende Dichten ist in Wahrheit die
Topologie des Seins“, schrieb Heidegger160 und beschrieb damit ein
solch ehrgeiziges Unternehmen wie die Konstruktion des Gevierts. Lässt eine
Person ihre latent vorhandenen Vorstellungen des Krugs als eines Ereignisses
des Gevierts in sich manifest werden, so lässt sie zugleich die empfundene
Leere der Langeweile los. Sie fühlt sich nicht länger von ihr hingehalten und
blickt nicht mehr ausweichend in die Vergangenheit oder Zukunft. Jetzt
existiert sie in der Gegenwart – bei und
in den Vorstellungen des Gevierts. Eine erfüllte Zeit löst die Leere ab.
War die Körper- und
Denkkraft der gelangweilten Person verringert, ja vielleicht gelähmt, so
vergrößert und erweitert sie sich jetzt. Ihr affektiver Ausdruck: Freude.161 Nicht allein über die gewonnene höhere eigene Vollkommenheit bzw. Wirklichkeit,
sondern auch über die geschaute Vollkommenheit des Wesens des jeweiligen Dings
im Geviert. Durch den auf diese Weise geschauten Zusammenhang verbindet eine
Person sonst getrennte Vorstellungen und stellt eine größere Einheit her, und
zwar gleichzeitig zum Ding und zu sich selbst. Ein höheres Heil der Seele162 und ein höheres Heil der Dinge (!) bedingen einander. Hier ist der
entscheidende Punkt, an dem das ganze Dasein, wie es Heidegger 1934 angekündigt
hat, sich in das Wesen der Dinge loswirft – z.B. aus der tiefen Langeweile in
die möglicherweise heilende und beglückende Schau eines Dings als Ereignis des
Gevierts.
Noch weiter zurückgedrängt würde die Langeweile, wenn die
Anwesenheit des Gevierts Dankbarkeit in einem Schauenden auslöst. Dies ist auf
zwei Wegen möglich. Zum einen durch das Erkennen des Dings als einer göttlichen
Gabe und die Neigung, sie zu erwidern. Zum anderen durch eine philosophische
Besinnung. Ein Schauender stellt zwar die Idee, dass ein Ding – z.B. der
Trank eines Kruges– eine sich ereignende Gabe des Gevierts sei, mit seinen eigenen
Vorstellungen her. Aber natürlich stellt er das in den Vorstellungen enthaltene
Vorgestellte, die Elemente des Gevierts, nur vor, nicht her. Selbst die
Erkenntnis, ein sterbliches Wesen zu sein und nicht bloß ein Tier, das
verendet, erzeugt er zwar, indem er gedanklich zu seinem eigenen Tod „vorläuft“163;
allerdings stellt er das Erkannte, den Tod, nicht her. D.h. die Vorstellung verweist auf etwas real Vorgegebenes,
sei es auf eine Grenze wie beim eigenen Tod, sei es eine Gabe oder ein
„Zuspruch“164 wie beim erlebbaren Göttlichen. Auf die so erfahrene
Gabe kann der Schauende nun mit seiner Gegengabe der Dankbarkeit reagieren.
Wem gegenüber jedoch soll der Schauende dankbar sein?
Welchem gebenden und heilenden Zusammenhang? Die „Seele“, die „Welt“, „Gott“
nennt Heidegger als Möglichkeiten.165 Deutungen, die sich unter den
sozialen Bedingungen von Gewissensfreiheit und philosophisch-wissenschaftlicher
„Polykontexturalität“166 leicht vervielfältigen ließen. Der
sachliche Grund für diese Vielfalt liegt darin, dass das „Spiegel-Spiel“ des
Gevierts alles kausale und begrenzte Vorstellen übersteigt.167 Ja,
in ihm wird „das Unerklärbare und Unbegründbare des Weltens von Welt“
erkennbar.168 Nur das Unerklärliche kann also vielfältig erklärt
werden, nur das Abgründige bietet gleichermaßen mögliche Begründungen.
Wie Musil mit seiner Idee „exakter Gesichte“, so empfiehlt
Heidegger mit seiner des „Gevierts“ eine außeralltägliche, ja außerwissenschaftliche
Wahrnehmungsweise. Musil und Heidegger wollen eine wahrgenommene Gestalt in
einen größeren Kontext einbetten, indem sie die Differenz zwischen der
jeweiligen Figur und ihrer Umwelt zugunsten einer größeren Gestalt auflösen.
Während bei Musil die dabei entstehenden Gestalten begrenzt und individuell
bleiben, konstruiert bzw. entbirgt Heidegger einen allgemeinen Weg zwischen
einem Ding und der es tragenden Welt. Anwesendes Denken, sinnendes Denken, „das
andere Denken“169 nennt er diese mystikförmige170 Betrachtungsweise. Das andere Denken enthüllt durch seine Beziehung zum Geviert
eine Tiefe, die gerade in unscheinbaren Dingen bzw. Ereignissen wie dem Trunk
eines Kruges oder dem „Zuspruch des Feldweges“171 aufscheint. „Das
in solchem Scheinen Anwesende aber ist das Schöne“, schreibt Heidegger über
diesen Zusammenhang.172 Ein erfahrbarer Zusammenhang, der überdies
kostenlos ist. „Der Körper empfängt das Gegebene, ohne etwas dafür zahlen zu
müssen“, variiert Michel Serres diese Idee, denn „die Quelle der Gabe“, z.B.
das Wasser, die Sonne, „ist uneigennützig.“173
Widerspricht eine Konstruktion mystikförmiger Schau wie die
Heideggers aber nicht wichtigen Aspekten moderner Rationalität, wie sie durch
den Prozess „der Entzauberung der Welt und deren Verwandlung in einen kausalen
Mechanismus“174 herbeigeführt worden ist? Seine Analyse der
Abgründigkeit kausalen Vorstellens und Erklärung macht demgegenüber deutlich,
dass das Prinzip des zureichenden Grundes selbst unbegründbar bleibt.175 Seine Konstruktion des Spiegel-Spiels zeigt jedoch, wie die abgründige und
rätselhafte Welt im Ereignis des Dings erfahrbar wird. Begibt er sich mit
dieser Konstruktion aber nicht in Opposition zu einer weiteren Diagnose bzw.
Prognose des Prozesses der Entzauberung, nämlich der, dass in ihm „die Religion
zunehmend ins Irrationale verdrängt“176 werde? Eine
Irrationalität, die man z.B. an der „Inkommunikabilität des mystischen
Erlebnisses“, erkenne, für das es „nur Mittel seiner Herbeiführung als
Ereignis“ geben kann, nicht aber solche „der adäquaten Mitteilung und
Demonstration“.177 Trotz aller Verständnisschwierigkeiten, trotz der
Notwendigkeit, es zu ergänzen: Ist Heideggers „Spiegel-Spiel“ nicht ein
gedanklicher Wegweiser, der den Weg zu mystikförmigen Erlebnissen anzeigt? Der
also auf eine mögliche Rationalisierung des Nicht-Rationalen178 hinweisen
will. Denn selbstverständlich hängt es vom Willen der Leserin bzw. des Lesers
ab, ob sie oder er diesen Weg gehen wollen. Dass die Gaben der Dinge sowie ihre
Schönheit auf diesem Weg erkannt werden, dass sich Gelassenheit, Freude oder
gar Dankbarkeit dabei einstellen, ist zwar möglich, aber angesichts der
Vielzahl von Alternativen: unwahrscheinlich. Das Glücken des
Spiegel-Spiels erweist sich somit als
eine unwahrscheinliche Wirklichkeit; besonders wenn man bedenkt, wie anders als das herrschende rechnende
und das sich zerstreuenden Denken es aufgebaut ist, gegen das es sich
durchsetzen müsste.
In traditionellen Regionen wie dem buddhistischen Westtibet
(Ladakh) oder dem christlich-orthodoxen Norden Äthiopiens glauben die meisten
Menschen auch heute noch, dass Yogis oder Einsiedler durch Askese und mystische
Schau magische Fähigkeiten gewinnen179,z.B. Kranke zu heilen.
Geschieht bei der geglückten gedanklichen Einbettung eines Dings in den
Zusammenhang des Gevierts – unter modernen Bedingungen – nicht etwas Ähnliches?
Falls durch die Sammlung und Konzentration der eigenen Vorstellungen, die
entstehende Freude des Geschauten die freudlose Zerstreutheit und Leere der
Langeweile verscheuchen könnte, wäre dies nämlich ebenfalls ein heilsames
Erlebnis. D.h. ein seltenes, unwahrscheinliches Ereignis in einem heilsamen Zusammenhang,
als den man in dieser Hinsicht das Geviert bezeichnen könnte.
Natürlich ließe sich hier weiter fragen180: Wenn
die Schönheit eines Dings daher rührt, wie Himmel und Erde in ihm aufscheinen181,
gibt es – wie bei Dostojewskij – eine Schau höchster Schönheit? Himmel und Erde
müssten einer Person in einem solchen Zustand als vollkommen erscheinen – wie
in Nietzsches Gestaltung des großen Mittag182, wie in einigen
Gedichten des späten Hölderlin.183 In dieser Gabe
aktuell-unendlicher Perfektion scheint es dem so Beschenkten, als ob seine
Vorstellungen und die vorgestellte Welt in grenzenloser Freude miteinander
verschmelzen. Das potentiell „unendliche Verhältnis“ zwischen den Teilen des
Gevierts184 verwandelt sich – für Augenblicke – in
aktuell-unendliche Wirklichkeit. Mystische Schau. Es ließe sich auch überlegen,
ob „die Hochzeit von Erde und Himmel“185 nicht ergänzt werden müsste
durch eine „Hochzeit von Himmel und Hölle“ im Sinne Blakes. Auf diese Weise
könnte man bedenken, ob nicht das Maßlose186 der Moderne, ihr
exzessiver Charakter, einen neuen Weg zur mystischen Schau bzw. Weisheit187 eröffnen kann. Also: eine Verdichtung und Zuspitzung exzessiven Handelns zur
Erfahrung metaphysischer Anomie, die –
bei gelungener Abwehr – zu mystikförmigem oder mystischem Erleben führen kann.
Höchstes Heil der Seele statt höchstes Unheil.
Aber nimmt der Rhythmus von Langeweile und medial erzeugter
Aufregung nicht trotzdem immer schnellere, immer exzessivere Formen an?
Erkennbar scheint mir die Beschleunigung an der rapiden Zunahme medialer
Oberflächen zu sein, vor allem von elektronischen. Für viele ist die Ruhe nur
noch die langweilige Pause, währenddessen sie z.B. erwartungsvoll auf ihr Handy
blicken und auf den nächsten Anruf warten. Oder man kommt nach Hause und stellt
reflexhaft, wie hypnotisiert, den Fernseher an – tut man es allein der
Information wegen oder ist es nicht auch ein Kampf gegen die Langeweile? Es
besteht jedoch kein Grund zur Beunruhigung, der exzessive Medienkonsum
fällt nicht mehr auf, da er zur
Normalität geworden ist.
Für Heidegger war die gigantische Zunahme von Information
ein Albtraum, der das rechnend-technische Denken, ja den „Zeitgeist behext“188.
„Der Zauber dieser Gegend“, lautet seine Alternative, die er den Forscher in
seinem Feldweggespräch über die Gelassenheit aussprechen lässt.189 Die moderne
Situation spitzt sich seiner Ansicht nach für das Individuum und die
Gesellschaft auf eine dramatische Entscheidung zu: „An der Wegkreuzung: Die
Sprache auf der Rennbahn in die Information, die Sprache unterwegs in die Sage
des Ereignisses.“190
Die Gesellschaft hat sich in die von ihm befürchtete
Richtung entwickelt, indem sie die Massenmedien immer mehr entwickelt hat. Diese
soziologische Diagnose dieses Ergebnisses: die Massenmedien folgen einer
eigenen Codierung oder Spezialsprache, nämlich der „Unterscheidung von
Information und Nichtformation.“191 Unter Information versteht
Niklas Luhmann im Anschluss an Gregory Bateson einen „Unterschied, der einen
Unterschied ausmacht“192. Durch die Differenz von Information und
Nichtinformation „zwingt“ das System der Massenmedien „sich dadurch selbst,
ständig für neue Informationen zu sorgen“193. Das sich wiederholende Ergebnis: „Das
System veraltet sich selber“.194 Und zwar in allen drei
Programmbereichen, Nachrichten, Werbung und Unterhaltung, durch die es sich
spezifiziert und konkretisiert.
Also immer mehr und immer schnellere Ereignisse bzw.
Informationen. Die Rennbahn der elektronischen Medien prägt195 das
Erleben und Handeln der Individuen, so dass sie die Rennbahn (sowie die damit
verbundene Konkurrenz) auch in ihrer realen Existenz laufen oder laufen wollen.
Denn nicht nur Informationen veralten, sondern auch die Individuen, wenn sie
nicht auf dem neuesten Informationsstand sind. Sie sehen sich deshalb
Nachrichten an, obwohl die meisten berichteten Ereignisse folgenlos für ihr
eigenes Leben bleiben. Sie betrachten Werbung, die sie animiert, Waren zu
kaufen, die sie eigentlich nicht brauchen. Sie lassen sich von
Unterhaltungssendungen zerstreuen, damit aber auch von der Besinnung auf sich
selbst. Das Mediale wird so zum Realen. Die mediale Filiale des modernen
Zauberlandes und -bandes versorgt die Individuen auf diese Weise ständig mit
den neuesten Nachrichten, interessanter Werbung und kurzweiliger Unterhaltung –
zumindest annoncieren die Medien es so. Eine längere Pause empfinden so geprägte Individuen als Langeweile, die in
ihnen den Wunsch weckt, ihr durch eine neue Runde aus Nachrichten, Werbung und
Unterhaltung zu entkommen.
Was aber sind die Folgen eines sich auf diese Weise
informierenden und zerstreuenden Denkens für mystikförmiges oder mystisches
Wahrnehmen? Droht die in der Mystik anwesende Tiefe nicht in dem sich selbst verstärkenden Wirbel
medialer und realer Vorstellungen und Handlungen unterzugehen oder zerrieben zu
werden?196 Wie „die Indianer“ sieht Heidegger „das sinnende Denken“
in „ „Reservationen“ “ verbannt – durch „das rechnende Denken“197.
Ein Bann, der offenbar auch durch die mediale Welt der Information und
Zerstreuung bewerkstelligt wird. Trotz und wegen der drohenden Gefahr wollte
Heidegger den „Weg frei halten für das spekulativ-sinnende Denken inmitten
aller Übereilungen der Soziologie, Psychologie und Logistik.“198 In
der Theorie und in seinem
persönlichen Reservat, seiner Hütte am Rande des Schwarzwaldes, in Todtnauberg.
War dies bloß eine Weise, anders zu denken, oder war es
nicht auch eine Weise, anders zu sein – vorübergehend? Trotz Frau und Freunden
– allein in seiner Hütte. Sinnend, einsiedlerhaft. Gedanken schöpfend inmitten
einer schöpferischen Landschaft. Bis zur Rückkehr nach Freiburg, an die
Universität, zu seiner Familie, seinen Freunden und Bekannten. Bis zum nächsten
Besuch, zur nächsten Anwesenheit in seiner Hütte. Wie jene französische
Buddhistin (S. 279, Abb. 9), die regelmäßig zwischen Paris und der Felswüste
Westtibets hin- und herreist, pendelte Heidegger zwischen Freiburg und seiner
Schwarzwaldhütte. Er und sie informieren sich und berechnen, wie sie am besten
an einen anderen Ort am Rande der jeweiligen Zivilisation kommen, um zu
meditieren, um zu sinnen. In der Stille, fern der Welt der Unterhaltung und
Langeweile. Beide verkörpern auf unterschiedliche Weise den Typus einer Mystikerin
bzw. eines Mystikers in der modernen Gesellschaft.
Haben sich nicht neben dieser intellektuellen Mystik und
einer ihr gemäßen Lebensweise andere, leichter zugängliche Formen mystikähnlichen
Verhaltens ausgebildet? Musils Beispiel eines exakten Gesichts legt diese
Vermutung nahe. In den Ferien berechnet sein Kanzleirat in Lederhosen plötzlich
nicht mehr den Wert einer Rinderherde im Gebirge, vielmehr genießt er die
Augenblicke, während derer in seiner Wahrnehmung sich die Grenze zwischen den
Rindern und der Umwelt im Licht des Sonnenuntergangs aufzulösen scheint. Auch
wenn Musil den Kanzleirat wieder zurück in sein Büro und die normale Ordnung
schickt, behauptet er, „Mystik dagegen“ sei „verbunden mit der Absicht auf
Dauerferien.“199 Anders ausgedrückt:
Die Realität der Ferien und die ihr entsprechende lockere und heitere Stimmung
scheinen die normale Wahrnehmung zu „entpanzern“200 und das
Entstehen von exakten Gesichten zu begünstigen.
Millionen Menschen warten jedes Jahr sehnsüchtig auf die
ersten Strahlen der Frühlingssonne. „Waiting for the sun“, sangen 1970 Jim
Morrison und die Doors „Waiting for you to come along / Waiting for you to hear
my song / Waiting for you to come along, yeah / Waiting for you to tell me what
went wrong“.201 Ist dies die moderne Wiederkehr antiker ägyptischer
Sonnenverehrung202,oder ist dies der lyrische Ausdruck einer
spezifischen, beinahe mystikförmigen Stimmung? Aber was ist daran mystikförmig?
Beschreiben wir zunächst die Stimmung! Ein Mann sitzt in der Sonne. Unterstellen
wir, er werde nicht von fliegenden Blütenpollen geplagt. Dann genießt er, davon
unbehelligt, die Wärme der Sonnenstrahlen auf seiner Haut. Jetzt. Das Empfinden
der belebenden Wärme lässt seine Sorge um die Zukunft verblassen. Auch
Erinnerungen spielen jetzt keine Rolle. Er existiert in der Gegenwart, in der
Fülle des Sonnenlichts – jenseits der Differenz von Langeweile und Aufregung.
Durch die Helligkeit kommt ihm Entferntes näher vor, wahrscheinlich weil es nun
leichter wäre, dorthin zu kommen. Auf diese Weise scheint sich der Horizont
seiner Welt bzw. der seines Geistes203 plötzlich zu erweitern. „Die
Strahlen der Sonne sind eine unwahrscheinliche Gabe“, denkt er, als ihm klar
wird, wie sehr sich die Grenzen in seiner Wahrnehmung durch sie verschoben
haben. „Aber eine Gabe wessen?“
Dieses Beispiel zeigt zweierlei: Zum einen, dass der
Charakter dieser Stimmung im Verschieben der Grenzen der Wahrnehmung liegt.
Aber ist das bereits „mystikförmig“? Zum anderen, wie ein einfaches Sitzen in
der Sonne in eine sinnende Betrachtung umkippen kann, in der die Anwesenheit
des Gevierts bedacht wird. Worin aber besteht der Unterschied eines solchen
meditativen Verhaltens zu dem einer Gruppe von Frauen und Männern, die zusammen
auf Parkbänken sitzen und einfach die Sonne genießen? Er dürfte im Grad und der
Form liegen, wie über die Wirkung der Sonne nachgedacht wird. Während der
vorgestellte Einzelne das sehr systematisch und rational tut, bleiben die
Gedanken der Personen in der Gruppe wohl unsystematischer und lockerer. Der
Einzelne und seine mystikförmige Refelxion macht so das explizit, was bei den
anderen „implizit“204 bleibt. Auf diese Weise erreicht er eine
größere geistige „Tiefe“.205 Aber empfinden die Frauen und Männer der Gruppe nicht dieselbe
Verschiebung in ihrer Wahrnehmung wie der Einzelne? Ist seine intensiver, weil
seine Reflexion tiefer ist?
Auch wenn ich diese Fragen im Moment nicht beantworten kann, möchte ich das Beispiel zum Anlass für die folgenden beantwortbaren Fragen nehmen: Haben sich neue Formen mystischen und mystikähnlichen Verhaltens in der Moderne herausgebildet? Verstärken die Massenmedien solche Ideen und Reaktionen oder „ver-stellen“206 sie die und tragen so zu ihrer Verbannung in Reservate bei?
Quelle: Bernd Krolop, Magie, Mystik und Moderne, ISBN 3-00-010444-5
Quellenverweise:
87 Im Sinne von G. H. Mead, Geist, Identität und Gesellschaft (1934), Frankfurt am Main 1975, S. 193 f.
88 E. Goffman, Wo was los ist – wo es action gibt, ebd., S. 182.
89 ebd., S. 203.
90 ebd., S. 236.
91 ebd., S. 284.
92 ebd., S. 285.
93 ebd., S. 211.
94 Das ist die holperig – wörtliche Übersetzung von „The Quest for Excitement in Unexciting Societies“. In: G. Lüschen (Hrgb.), The Cross – Cultural Analysis of Sport and Games, Champaign Illinois 1970, S. 31 – 52.
95 ebd., S. 35.
96 ebd., S. 50.
97 ebd., S. 35.
98 ebd., S. 35: „To experience it we have, often enough, to pay“.
99 E. Goffman, Wo was los ist…, ebd., S. 170.
100 ebd., S. 179.
101 N. Elias / E. Dunning, ebd., S. 42. Ihr Beispiel für Aufregung hier: ein Gedicht über die Beatles im Shea Stadium (S. 43).
102 Augustin, Bekenntnisse, Stuttgart 1967, S. 71. Ist es Zufall, dass die „Bekenntnisse“ im 11. Buch eine subtile Analyse der Wahrnehmung von Zeit enthalten?
103 Martin Heidegger, Die Grundbegriffe der Metaphysik – Welt – Endlichkeit – Einsamkeit (1929 / 1930), Gesamtausgabe Band 29 / 30, Frankfurt am Main 1983, S. 130.
104 ebd., S. 173.
105 ebd., S. 172.
106 ebd., S. 208.
107 Siegfried Kracauer, Langeweile (1924), in: Das Ornament der Masse, Frankfurt am Main 1977, S. 321 – 325 (S. 322 ff.). Erschienen ist dieser Essay ursprünglich in der „Frankfurter Zeitung“.
108 Kult der Zerstreuung (1924), ebd., S. 311 ff.
109 Von den „weiten Hallen des Gedächtnisses“ sprach Augustin, wo sich „Schätze unzähliger Bilder“ finden – Bekenntnisse, ebd., S. 270.
110 So Radcliffe–Brown 1939 in seiner Kritik an Malinowskis Theorie der Magie – Taboo. in: Structure and Function in Primitive Society, New York 1965, S. 148 ff.
111 „Ein Unterschied, der einen Unterschied ausmacht“, ist für Gregory Bateson „die elementare Informationseinheit“ – Form, Substanz und Differenz (1969), in: Ökologie des Geistes, Frankfurt am Main 1983, S. 582.
112 M. Heidegger spricht von „der Weckung einer Grundstimmung unseres Philosophierens“ – Die Grundbegriffe der Metaphysik, ebd., S. 89.
113 Langeweile, ebd., S. 324 f.
114 ebd., S. 325.
115 Die Grundbegriffe der Metaphysik, S. 217 ff.
116 ebd., S. 223.
117 Heideggers Begriff für diese „Ergänzung“ bzw. Verschiebung seiner Perspektive: Kehre. M. Heidegger, Die Kehre, in: Die Technik und die Kehre, Pfullingen 1985, S. 37 ff.
118 Martin Heidegger, Schöpferische Landschaft: Warum bleiben wir in der Provinz? (1934), in: Guido Schneeberger, Nachlese zu Heidegger – Dokumente zu seinem Leben und Denken, Bern 1962, S. 216 – 218.
119 ebd., S. 216.
120 ebd., S. 217.
121 ebd., S. 217.
122 Z.B. „Die Schwere der Berge und die Härte ihres Urgesteins, das andächtige Wachsen der Tannen, die leuchtende, schlichte Pracht der blühenden Matten, das Rauschen des Bergbaches in der weiten Herbstnacht, die strenge Einfachheit der tiefverschneiten Flächen...“ - ebd., S. 216.
123 Z.B. „Wenn der Jungbauer den schweren Hörnerschlitten den Hang hinaufschleppt und ihn alsbald mit Buchenscheiten hoch beladen in gefährlicher Abfahrt seinem Hof zulenkt“ – ebd., S. 216.
124 ebd., S. 218. Als alltägliche Weise des Daseins, als „Man“, hatte Heidegger 1927 ähnliche Verhaltensweisen charakterisiert, als „Gerede“, „Neugier“ und „Zweideutigkeit“. Sein und Zeit (1927), Tübingen 1972, S. 167 ff.
125 Schöpferische Landschaft..., S. 218.
126 In: „Bauen – Wohnen – Denken“ (1951) und „Das Ding“ (1951) – Aus: M. Heidegger, Vorträge und Aufsätze, Pfullingen 1978, S. 139 – 156 (S. 148 ff.).
127 ebd., S. 146 ff.
128 ebd., S. 158 ff.
129 ebd., S. 162.
130 ebd., S. 165.
131 ebd., S. 165.
132 ebd., S. 166. Als Versammeln der sonst zerstreuten Bilder im Gedächtnis hatte Augustin das Denken charakterisiert: „Daher heißt denken, etwas gleichsam aus der Zerstreuung sammeln“ – Bekenntnisse, ebd., S. 276.
133 Von einer „perspective by incongruity“ spricht Kenneth Burke, in: Permanence and Change – An Anatomy of Purpose (1935), Berkeley and Los Angeles 1984, S. 89 ff.
134 In einem Interview mit dem Spiegel von 1966 meint Heidegger, sein Begriff des „Ge-Stells“, mit dem er das Wesen der modernen Technik bezeichnet, sei ein „vielleicht ungeschickter Ausdruck“. Gilt das auch für „die Göttlichen“ oder „das Geviert“? In: Der Spiegel 46 / 2002, S. 136 ff. (S.140 f.).
135 M. Heidegger, Bauen – Wohnen – Denken, ebd., S. 147.
135 ebd., S. 147.
136 ebd., S. 147.
137 ebd., S. 147.
138 Die Gewissheit war – nach katholisch-legendenhaftem Glauben – am größten, wenn Christopherus einen Wanderer über den unsicheren Fluss trug. So: Die Legenda aurea des Jacobus de Voragine (1485), Heidelberg 1975, S. 498 ff. (S. 499 f.).
139 M. Heidegger, Das Ding, ebd., S. 165.
140 ebd., S. 165.
141 Bronislaw Malinowski, Argonauten des westlichen Pazifik (1922), Frankfurt am Main 1984 und Marcel Mauss, Die Gabe (1923), in: Soziologie und Anthropologie Bd. II, München 1975, S. 9 ff.
142 M. Mauss, ebd., S. 80 ff.
143 Siehe S. 230 ff.
144 M. Heidegger, Die Kehre (o. J.), ebd., S. 46. „Der Begriff der Nachlässigkeit macht unsere Zeit verständlich“, formuliert Michel Serres verblüffend ähnlich. Sein Gegenbegriff: „Fürsorge“ oder „Religion“. In: Der Naturvertrag (1990), Frankfurt am Main 1994, S. 82 f.
145 M. Heidegger, Bauen – Wohnen – Denken, ebd., S. 143 ff.
146 „Hörige ihrer Herkunft, aber nicht Knechte von Machenschaften“ nennt Heidegger sie mit einem weiteren unglücklichen Ausdruck. In: Der Feldweg (1949), aus: Aus der Erfahrung des Denkens, Frankfurt am Main 2002, S. 87 ff. (S. 89).
147 Den die Menschen „fast für die Stimme Gottes halten“ – ebd., S. 89.
148 ebd., S. 89.
149 ebd., S. 89.
150 ebd., S. 89.
151 ebd., S. 89.
152 ebd., S. 89.
153 M. Heidegger, Gelassenheit (1959), Pfullingen 1985, S. 22.
154 ebd., S. 22.
155 Z.B. Johannes Tauler, 15. Predigt, in: Predigten 1. Band, Jena 1923, S. 70 ff. (S. 74). Zu Symeon siehe Seite 221, Anm. 610.
156 M. Heidegger, Gelassenheit, ebd., S. 23.
157 Das Ding, ebd., S. 174.
158 Heidegger stellt diese Frage zwar nicht explizit, aber er hätte es tun können. Sie ist implizit in seiner Philosophie enthalten und wartet darauf, entborgen zu werden.
159 Diese Wechselwirkung zwischen dem Beobachter und dem Beobachteten betonen auch aus kybernetischer Perspektive: G. Bateson, Geist und Natur, ebd., S. 80 f. und H. von Foerster, Zukunft der Wahrnehmung: Wahrnehmung der Zukunft (1972), in: Wissen und Gewissen, ebd., S. 194 ff. (196 f.).
160 Aus der Erfahrung des Denkens – Unter den hohen Tannen hindurch... (1947), in: Aus der Erfahrung des Denkens, ebd., S. 75 ff. (S. 84). 1969 sprach er von der „Verschiedenartigkeit der Raumerfahrungen in den vergangenen Zeitaltern“ – Die Kunst und der Raum, ebd., S. 203 ff. (S. 205).
161 Spinoza betrachtete die Freude als affektiven Durchgangspunkt von geringerer zu höherer Vollkommenheit, d.h. zu mehr Wirkkraft des Körpers bzw. Denkkraft der Seele – Die Ethik... (3. Teil, Lehrsatz 11), S. 120 f. Vergl. oben S. 151 f.
162 Vergleiche Georg Simmel, Vom Heil der Seele (1902), in: Gesamtausgabe 7, Frankfurt am Main 1995, S. 109 – 115. Siehe oben S. 137 ff.
163 So hatte Heidegger in „Sein und Zeit“ argumentiert – Sein und Zeit, ebd., S. 305 ff. Menschen können sich so ihrer eigenen Endlichkeit bewusst werden und auf diese Weise von rationalen Wesen zu Sterblichen werden. Der Begriff „Sterbliche“ bildet die gedankliche Brücke zwischen „Sein und Zeit“ und dem „Geviert“.
164 „Der Zuspruch macht heimisch in einer langen Herkunft“, schreibt Heidegger – Der Feldweg, ebd., S. 90.
165 ebd., S. 90.
166 Zu diesem Begriff: Gotthard Günther, Life as Poly-Contexturality (1973), in: Beiträge zur Grundlegung einer operationsfähigen Dialektik Bd. 2, Hamburg 1979, S. 283 – 306.
167 M. Heidegger, Das Ding, ebd., S. 172 f. Zur Parallelität der Idee bei Jacob Böhme siehe oben S. 246 f.
168 Das Ding, S. 172. Zur Nicht-Begründbarkeit des Satzes vom zureichend Grund und des Auftauchens des „Abgrundes“ ausführlicher: M. Heidegger, Der Satz vom Grund – genauer oben S. 248ff.
169 So bereits 1941 in dem Gedicht „Das andere Denken“ – Winke (1941), in: Aus der Erfahrung des Denkens, ebd., S. 23. In dem erwähnten Spiegel-Interview nimmt er den Begriff wieder auf: als Möglichkeit des Denkens angesichts des „Endes“ der etablierten Philosophie – Der Spiegel 46/2002, S. 141.
170 Vergleiche auch: Otto Pöggeler, Sein und Nichts – Mystische Elemente bei Heidegger und Celan (1982), in: Wolfgang Böhme (Hrgb.) ZU DIR HIN – Über mystische Lebenserfahrung von Meister Eckhart bis Paul Celan, Frankfurt am Main 1987, S. 270ff.
171 „Im Unscheinbaren des immer Selben verbirgt es seinen Segen“, schreibt Heidegger über das Einfache dieses Zuspruches – Der Feldweg, ebd., S. 89.
172 In: Hölderlins Erde und Himmel (1959), aus: M. Heidegger, Erläuterungen zu Hölderlins Dichtung, Frankfurt am Main 1971, S. 160.
173 Michel Serres, Die fünf Sinne (1985), Frankfurt am Main 1993, S. 288. Auch die Namen der möglichen Quelle haben eine verblüffende Ähnlichkeit mit denen Heideggers: „Gott, die Welt, die Umwelt, die Luft, das Wasser, die Sonne“ (ebd., S. 288).
174 So Max Weber in der „Zwischenbetrachtung“ der Religionssoziologie – GARS I, ebd., S. 564.
175 Und richtet sich gegen die Vorstellung, der Prozess der Rationalisierung bzw. Entzauberung sei selbst rational begründbar. Wie sonst soll man folgende Bemerkung Heideggers von 1969 verstehen? „Die Irrmeinung, das Rationale und die Rationalisierung (Entzauberung) der Welt seien selbst etwas Rationales, bleibt der Frage nach der Herkunft der Ratio ausgesetzt“. Zeichen (1969), in: Aus der Erfahrung des Denkens, ebd., S. 211 f. (S. 212).
176 M. Weber, GARS I, ebd., S. 564.
177 ebd., S. 566. Es erstaunt zu sehen, wie Heidegger Webers Idee aufgenommen und weiter gedacht hat.
178 „Religion is non-rational, even in its rationalized forms“, formulierte Evans-Pritchard im Anschluss an Max Weber – E. E. Evans-Pritchard, Theories of Primitive Religion (1965), Oxford 1988, S. 118.
179 Siehe S. 116 ff.
180 „Denn das Fragen ist die Frömmigkeit des Denkens“ schrieb Heidegger. In: Die Frage nach der Technik (1954), in: Vorträge und Aufsätze, ebd., S. 9 – 40 (S. 40).
181 Ein ästhetisches Urteil, das bei einem Betrachter interesseloses und intuitives Wohlgefallen – im Sinne Kants – auslöst. Siehe S. 258 ff.
182 Siehe S. 184 / Anm. 400, ausführlich unten S. 391ff. Als „die Zeit der hellsten Helle“ des Bewusstseins bezeichnet er diese mystische Erfahrung. In: Nietzsches Wort „Gott ist tot“ (1943), aus: Holzwege, Frankfurt am Main 1980, S. 205 ff. (S. 253).
183 M. Heidegger, Erläuterungen..., ebd., S. 163 ff.
184 ebd., S. 163 / S. 170 ff. Heidegger unterscheidet nicht zwischen dem potentiell und dem aktuell Unendlichen (ausführlich oben: S. 158 ff.). Für ihn ist das Unendliche lediglich etwas, das „der Einseitigkeit und Endlichkeit enthoben“ ist; auch wenn es wegen seiner „Mitte“ „abgründig“ verschieden von bloß. Endlosen“ ist – M. Heidegger, ebd., S. 163.
185 ebd., S. 179.
186 Es geht Heideggers Ansicht nach darum, zu „denken, dass es auf dieser Erde nicht nur kein Maß gibt, sondern dass die planetarisch verrechnete Erde auch kein Maß geben kann, vielmehr ins Maßlose fortreißt“. In: Das Wohnen des Menschen (1970), in: Aus der Erfahrung des Denkens, ebd., S. 213 ff. (S. 220).
187 Dies war das Ziel William Blakes. „The road of excess leads to the palace of wisdom“ schrieb er in „The Marriage of Heaven and Hell“ (1792), in: W. Blake, Zwischen Feuer und Feuer – Poetische Werke / Zweisprachige Ausgabe, München 1998, S. 218.
188 In: Aufzeichnungen aus der Werkstatt (1959), aus: Aus der Erfahrung des Denkens, ebd., S. 151 ff. (S. 152).
189 Zur Erörterung der Gelassenheit. Aus einem Feldweggespräch über das Denken (1944/45), ebd., S. 37 ff., S. 46.
190 ebd., S. 154.
191 Niklas Luhmann, Die Realität der Massenmedien, Opladen 1996, S. 36. Oder: die Unterscheidung veröffentlicht / unveröffentlicht – so: Frank Marcinkowski, Publizistik als autopoietisches System – Politik und Massenmedien. Eine systemtheoretische Analyse, Opladen 1993, S. 65 ff.
192 G. Bateson, Form, Substanz und Differenz (1970), in: Ökologie des Geistes, Frankfurt am Main 1983, S. 582.
193 N. Luhmann, ebd., S. 42.
194 ebd., S. 42.
195 Im Sinne von Meads „role-taking“ (siehe Anm. 87). Luhmanns Begriff: Schema – In: Die Realität der Massenmedien, ebd., S. 190 ff.
196 Dieses Problem existiert seit der Erfindung des Buchdrucks! Sebastian Brant beginnt „Das Narrenschiff“ mit dem Büchernarren. Der kauft zwar immer mehr Bücher, aber liest, versteht und befolgt sie nicht. Die Logik: Immer mehr Bücher bzw. mediale Oberflächen und immer weniger Weisheit. Das Narrenschiff, ebd., S. 12 – 14. Trotz dieser Kritik wurde „Das Narrenschiff“ einer der ersten Bestseller! Vergleiche auch: Ursula Rautenberg, Von Mainz in die Welt: Buchdruck und Buchhandel in der Inkunabelzeit, in: Gutenberg – aventur und kunst, Vom Geheimunternehmen zur ersten Medienrevolution (Hrgb. von der Stadt Mainz), Mainz 2000, S. 236 – 247.
197 M. Heidegger, Aufzeichnungen aus der Werkstatt (1959), in: Aus der Erfahrung des Denkens, ebd., S. 152.
198 ebd., S. 153.
199 R. Musil, Der Mann ohne Eigenschaften, in: GW 3, ebd., S. 767.
200 GW 2, S. 555. „Entpanzerung des Ich“, heißt es dort.
201 Jim Morrison & The Doors, ebd., S. 113f.
202 Echnatons Loblied auf die Sonne – in: Hugo Gressmann (Hrgb.), Altorientalische Texte zum Alten Testament (1926), Berlin 1970, S. 15 – 18. Dazu: Erik Hornung, Der Eine und die Vielen – Ägyptische Gottesvorstellungen (1971), Darmstadt 1983, S. 240ff.
203 Wo endet der Geist eines Holzfällers oder der eines Blinden mit seinem Stab?, fragt Gregory Bateson. In: Form, Substanz und Differenz (1970), ebd., S. 589 f. Unter Geist versteht er die Fähigkeit, Informationen selbst-regulierend zu erzeugen bzw. zu verarbeiten. Ausführlich dazu oben S. 89ff.
204 Im Sinne Polyanis als „der Andeutung eines Verborgenen, das wir gleichwohl entdecken können“ – Implizites Wissen (1966), Frankfurt am Main 1985, S. 29.
205 Auch Polyani verwendet den Begriff, um die jeweiligen unterschiedlichen Kenntnisse zu bezeichnen – ebd., S. 35 f.
206 Mit diesem Begriff drückt Heidegger aus, welche Folgen „das rechnende Bestellen“ für das Geviert bzw. die „vier „Stimmen des Geschicks“ hat, es „verstellt“ das „un-endliche Verhältnis“ – Erläuterungen zu Hölderlins Dichtung, ebd., S. 178.
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